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Samstag, 30. Juni 2012

Soll die Gemäldegalerie am Kulturforum aufgegeben werden? Hintergründe einer Kontroverse

"Rettet die Gemäldegalerie!", wettert Hanno Rauterberg im aktuellen ZEIT-Feuilleton gegen die Pläne, das Haus der Alten Meister am Kulturforum in ein "Museum des 20. Jahrhunderts" umzubauen. Wir hatten die Meldung längst im Blog, heute unterzieht Michael Bienert das Vorhaben in der STUTTGARTER ZEITUNG einer kritischen Bewertung.  


Ideale Räume für die Kunst des 20. Jahrhunderts?
Ein Kabinett der Berliner Gemäldegalerie.
Die Staatlichen Museen zu Berlin klagen seit Jahren über Platz-, Personal- und Geldnot: Sie seien nicht in der Lage, ihre wertvollen Sammlungen angemessen zu präsentieren. Vor allem die Kultur- und Finanzpolitiker des Bundes haben darauf immer wieder äußerst spendabel reagiert. So fließen in die sukzessive Sanierung der Museumsinsel weit über eine Milliarde Euro. Für ein neues Eingangsgebäude werden gerade Bohrpfähle in den weichen Boden gerammt, nebenan steht die Eröffnung des neu gebauten archäologischen Zentrums kurz bevor. Draußen in Berlin- Friedrichshagen entstehen neue Archive und Werkstätten. Für die Neupräsentation der außereuropäischen Sammlungen im Humboldt-Forum wird sogar das Berliner Schloss für 590 Millionen Euro wiedererstehen. Als gäbe es nicht genug abzuarbeiten und als wären die Geldquellen unerschöpflich, kündigen die Verantwortlichen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nun eine weitere „Neuordnung der Museumslandschaft“ an. Das ehrgeizige Ziel: am Kulturforum soll ein „Museum des 20. Jahrhunderts“ entstehen. Dafür sollen die erst 1994 bezogenen Oberlichtsäle der Gemäldegalerie geräumt werden. Die Alten Meister sollen ins Bode-Museum auf der Museumsinsel umziehen und in frühestens 10 Jahren nebenan einen Neubau bekommen.

Neu sind diese Gedankenspiele nicht. Aber sie waren als reines Wunschdenken abgehakt, seit 2008 der umtriebige Generaldirektor der Museen Peter-Klaus Schuster in den Ruhestand geschickt wurde. Mit einem Generationswechsel an der Spitze der Museen schien ein eher nüchterner und pragmatischer Geist einzuziehen. Der heutige  Generaldirektor Michael Eissenhauer und Nationalgalerie-Chef Udo Kittelmann bewiesen, dass man auch mit beschränkten Ressourcen tolle Ausstellungen stemmen kann.
Jetzt aber werden die ehrgeizigen Pläne wieder aus der Schublade geholt, weil ein anderer dicker Fisch im Netz zappelt. Vor zwei Jahren  unterzeichnete das Ehepaar Pietzsch einen Schenkungsvertrag zugunsten der Berliner Museen über seine Surrealisten-Sammlung. Der Schätzwert der Werke von Künstlern wie Marcel Duchamp, Joan Miró, Max Ernst oder Mark Rothko liegt bei 120 bis 180 Millionen Euro. Dem Ehepaar wurde versprochen, diese Werke dauerhaft in die Präsentation der Sammlung der Neuen Nationalgalerie zu integrieren. Dabei sieht sich deren Chef Udo Kittelmann schon so außerstande, die vorhandenen Kunst des 20. Jahrhunderts umfassend zu zeigen. Um die Bedingung der Sammler zu erfüllen, bewilligte Mitte Juni der Haushaltsausschuss des Bundestags  10 Millionen Euro für den Umbau der Gemäldegalerie am Kulturforum zu einem Museum des 20. Jahrhunderts.
Dieser überraschende Schachzug hat Folgen: Die Hälfte der Alten Meister wird auf unabsehbare Zeit im Depot verschwinden. Die Spitzenwerke vom Rembrandt, Rubens oder Caravaggio sollen vorläufig zusammen mit der Skulpturensammlung im bereits renovierten Bode-Museum gezeigt werden. Sie könnten zusätzliche Besucher dorthin ziehen und auch die Alten Meister vom Touristenstrom auf der Museumsinsel profitieren – so die Hoffung der Museumsstrategen. Aber die Gemäldegalerie als eigene Sammlung von Weltrang wäre nicht mehr sichtbar: ein hoher Preis für das Surrealisten-Geschenk!
Und sind die noblen Oberlichtsäle der Gemäldegalerie wirklich der optimale Ort für die Avantgarden des 20. Jahrhunderts? Dafür spricht die Nachbarschaft zum Mies-Bau am Kulturforum – mehr nicht. Das in die Jahre gekommene Stammhaus der Moderne muss demnächst generalsaniert werden, da bietet sich die heutige Gemäldegalerie kurzfristig als Ausweichquartier an. Langfristig gewonnen ist mit all dem Kunstgeschiebe gar nichts, solange niemand erklärt, woher die 150 oder doch wohl eher 300 Millionen Euro für eine neue Gemäldegalerie fließen sollen.


Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 30. Juni 2012


Weitere Texte zum Thema:


■ Andreas Kilb kommentierte die Pläne in der FAZ vom 13. Juni 2012 als Kunstluftnummer.
■ Bernhard Schulz im Tagesspiegel vom 14. Juni 2012.
■ Niklas Maak in der FAZ vom 28. Juni 2012
■ Nikolaus Bernau über "Barbarei und Irrsinn" in der Frankfurter Rundschau vom 4. Juli 2012.

1 Kommentar:

  1. Berlin, den 4.7.2012
    PRESSEMITTEILUNG DER STAATLICHEN MUSSEN ZU BERLIN
    Zum geplanten Umbau der Gemäldegalerie

    Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, erklärt zur aktuellen Debatte um den Umbau der Gemäldegalerie am Kul- turforum zu einer Galerie des 20. Jahrhunderts: „Alle Vorwürfe, wir würden mit unserer hochkarätigen Sammlung der Ge- mäldegalerie verantwortungslos umgehen, weisen wir entschieden zu- rück. Wir streben einen Prozess an, der den Sammlungen sowohl der Al- ten Meister als auch der Kunst der Moderne dauerhaft den ihnen gebüh- renden Raum sichert. Dabei ist unser Ziel, die Gemäldepräsentation zu erweitern und gemeinsam mit den Skulpturen im Bode-Museum zu vereinen. Da das Bode-Museum für die Präsentation dieser beiden Sammlungen zu klein ist, planen wir einen Erweiterungsbau gegenüber an den Museumshöfen.“
    Bernd Lindemann, Direktor der Gemäldegalerie, äußert sich zu dem Vor- haben: „Maler und Bildhauer haben sich über Jahrhunderte hinweg gegenseitig inspiriert. Mit der Ausstellung ‚Gesichter der Renaissance’ im vergangenen Jahr haben wir im Bode-Museum gezeigt, welcher Gewinn die Zusammenführung dieser beiden Sammlungen ist. Wie Wilhelm von Bode wollen wir die Sammlungen im Dialog zeigen: Donatello und Masaccio, Riemenschneider und Dürer, Houdon und Chardin. Diese Zusammenführung würde eine erfolgreiche Berliner Tradition wieder ins Leben rufen, die 1933 unterbrochen wurde. Sie kann nur vom Bode-Museum ausgehen, da dieses Gebäude als Zuhause für die Gemäldegalerie und Skulpturensammlung konzipiert wurde.“

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