Translate

Donnerstag, 12. Mai 2011

Im Theater (21): Kleinbürger

Kleinbürger mag sich niemand gerne nennen. Umso heftiger drängt alles in die sogenannte Mitte der Gesellschaft. Genau dort aber hat die marxistische Theorie einst die Kleinbürger lokalisiert: Sie zählten weder klar zu den Ausbeutern noch zu den Ausgebeuteten, sondern bildeten die schwankende Masse dazwischen. Nicht revolutionär, auch nicht reaktionär, aber von beidem ein bisschen. In Deutschland entspricht das exakt der Positionierung jener Parteien, die Mehrheiten erringen und das Führungspersonal stellen. So gesehen ist die heutige Bundesrepublik unzweifelhaft eine Kleinbürgerrepublik.
Mit ironischer Distanz skizziert Gorki in seinem ersten Stück Kleinbürger die Mentalität der gehobenen Mittelklasse im vorrevolutionären Russland. Es ist als Familiendrama angelegt, denn vor allem im Kreise seiner Lieben sucht der Kleinbürger sein Heil. Die Zumutungen der Welt mögen bitte draußen bleiben. Doch kann die Einkapselung des Familienfriedens auf Dauer nicht funktionieren. Die kleinste Zelle des gesellschaftlichen Gefüges, die Familie, mutiert bei Gorki zum Spiegelbild des maroden Staates. Die Alten haben darin zwar noch die Macht, aber keine Autorität mehr. Die Jungen fühlen sich eingesperrt und unverstanden, mit wachsender Aggressivität stellen sie die Ordnung in Frage, in der sie aufgewachsen sind. Weiterlesen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen