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Montag, 10. Januar 2011

Stillstand

„Die S-Bahn gehört zu unseren Intimitäten“, schrieb Uwe Johnson 1964 und warnte die Westberliner vor den verheerenden Folgen des S-Bahn-Boykotts, zu dem Senat und Gewerkschaften nach dem Mauerbau aufriefen. Der Boykott sollte die Deutsche Reichsbahn und Machthaber in Ostberlin treffen, das traurige Ergebnis war der Niedergang des einstmals modernsten Nahverkehrssystems der Welt. Nach der Wiedervereinigung wurden Milliarden im Berliner Schienennetz verbaut, um es wieder auf den Vorkriegsstand zu bringen. In diesem Winter steuert die S-Bahn zurück in die Vergangenheit: Es fehlt an einsatzfähigen Wagen und Personal, Strecken zum Stadtrand wurden letzte Woche komplett still gelegt, in der Innenstadt verkehren Züge so selten und sind derart überfüllt, dass man sie möglichst meidet. Berlin ohne funktionierende S-Bahn, das ist wie Stuttgart ohne Hauptbahnhof: ein Anschlag auf das Heimatgefühl der Hauptstadt. Eigentlich müssten die wütenden Berliner dem Stuttgarter Vorbild folgen und im Regierungsviertel massenhaft gegen die Verantwortlichen demonstrieren. Aber die Lage ist aussichtslos: Wie soll man dort ohne S-Bahn überhaupt hinkommen? - Mehr Kolumnen aus der Kulturrepublik finden Sie hier.

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