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Freitag, 24. Dezember 2010

Hip Hop Heiligabend

Eine wahre Weihnachtsgeschichte erzählt die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Politik und Kultur“. 1997 unterschrieb die damalige Juso-Vorsitzende den Gründungsvertrag für das Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem, ein Begegnungszentrum für palästinensische und israelische Jugendliche auf der Grünen Linie zwischen dem Ost- und Westteil der Stadt. 2008 stand es plötzlich vor dem Aus, weil der Vermieter das Haus verkaufen wollte. Zufällig erfuhr Nahles seinerzeit von der SPD-Schatzmeisterin, dass ein jüdischer Rechtsanwalt der Partei eine große Geldsumme vererbt hatte. Die Auszahlung war an die Bedingung geknüpft, ein Friedensprojekt im Geiste Willy Brandts zu fördern. Deswegen gibt es dieses Haus, in dem Jugendliche aus den verfeindeten Lagern zusammen kommen, noch immer. Im Sommer traten dort israelische, palästinensische und deutscher Rapper gemeinsam unter dem Motto „Hip-Hop-Hudna“ auf. Hudna heißt Waffenruhe: „There is no difference between God and Allah / no difference between Sederot and Ramallah / there will be peace, Amen and Inshallah.“ - In diesem Sinne wünscht die Kulturrepublik schöne Feuertage und ein friedliches neues Jahr!

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Unheimliche Wirklichkeiten in Baden-Baden

Die täuschend lebensechten Hausfrauen, Anstreicher und Wachmänner des Bildhauers Duane Hanson gehören in den Museen der Welt zu den Publikumslieblingen – so wie seine „Putzfrau“ in der Stuttgarter Staatsgalerie. Rund dreißig dieser Fiberglasmenschen treffen jetzt in Baden-Baden auf die unheimlich realen Fotoinszenierungen von Gregory Crewdson. Beide Künstler nehmen die US-amerikanische Alltagsrealität in den Blick und führen uns in die Grauzone zwischen Wirklichkeit und Illusion. Elke Linda Buchholz hat den Audioguide zur Ausstellung geschrieben und stellt sie im Kulturfinder vor.

Im Theater (15): Krieg ernährt die Familie

Draußen auf dem Theatervorplatz herrscht dichtes Schneetreiben, drinnen im Deutschen Theater wässert ein Rasensprenger ein saftiges Grasviereck. Drumherum sitzt das Publikum und bildet die lebende Mauer um eine brüchige Familienidylle. Die Geschichte ihres Zusammenbruchs beginnt - in Arthur Millers Drama Alle meine Söhne - mit einer heiteren Rückblende: Der hemdsärmelige Fabrikbesitzer Joe Keller tollt mit fünf Kindern, alle im Grundschulalter, ballspielend auf dem Rollrasen herum. Noch ist seine Welt in Ordnung, noch sind die Kinder zu klein, um Fragen nach Verantwortung und Schuld zu stellen. Weiterlesen

Dienstag, 21. Dezember 2010

Paris-Bücher

Was darf in den Koffer, was nicht? Trotz strenger Auswahl: Die gesamte Reisebibliothek war diesmal aufgestapelt zwanzig Zentimeter hoch, wog dreieinhalb Kilo und umfasste elf Bände, darunter einen handlichen Stadtplan mit Spiralbindung. Elke Linda Buchholz war in Paris und hat Reiseführer und andere Paris-Bücher auf ihre Brauchbarkeit getestet. Im aktuellen literaturblatt lesen Sie ihren Erfahrungsbericht.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Die Farbe funkelt

Der von Willem de Roij abgedunkelte Glaskubus der Neuen Nationalgalerie sieht derzeit so abweisend aus, als habe das Haus auf Dauer dichtgemacht. Doch beherzt hinein und hinab ins Kellergeschoss! Das Kupferstichkabinett hat eine wunderbare kleine Macke-Ausstellung in die „Modernen Zeiten“ implantiert (bis 13. Februar; Di–Fr 10–18, Do 10–22, Sa u. So 11–18 Uhr). Die drei Aquarelle von der legendären Tunisreise August Mackes 1914 funkeln geradezu vor Farbe und Licht – gerade richtig bei dem Winterschmuddelwetter draußen. Dass der 27-jährige Künstler diese schwebend leichten Bilder orientalischer Märkte und Gärten nicht mal eben hinskribbelte, sondern seinen Stil sorgfältig am Kubismus und Fauvismus schulte, lässt sich an den übrigen 33 Zeichnungen und Skizzen von 1911 bis 1914 studieren. Alle seine Lieblingsmotive sind da: die Flanierenden im Park, die Schaufenster, die Papageien im Zoo, der Zirkus und der Thuner See. Selbst die aus Graustufen aufgebauten Aquarelle und Kreidestudien zeigen mit ihrem facettenartigen Spiel der Bildbausteine, dass Macke selbst im schwarz-weißen Medium die Farbe immer mitdachte. Berlin verdankt diesen Schatz an Papierarbeiten zum großen Teil der Witwe des im Ersten Weltkrieg jung gefallenen Malers. 1921 machte sie der Nationalgalerie zahlreiche Blätter zum Geschenk – als Dreingabe zu den kostbaren Tunis-Aquarellen, die damals aus dem Nachlass erworben wurden. Elke Linda Buchholz im TAGESSPIEGEL vom 13. Dezember 2010.

Dienstag, 14. Dezember 2010

Gefahrenabwehr

Auf der grauen Spree treiben Eisschollen. Ein scharfer Wind streicht über die Kronprinzenbrücke neben dem Bundestagskindergarten. Der Spreeübergang im Regierungsviertel ist ein kritischer Punkt, alle paar Meter steht ein Polizist am Brückengeländer und kämpft bibbernd gegen der Kälteterror. Die Beamten warten auf einen Konvoi schwarzer Limousinen mit Halbmond- und Deutschlandwimpeln, der vom Kanzleramt kommen soll. Um die Zeit zu verkürzen, wirft einer der Polizisten mit Schneebällen nach seinen Kollegen auf der anderen Brückenseite. Schneebälle statt Maschinenpistolen: So stellt sich außerhalb Berlins sicher niemand die Gefahrenabwehr vor. Sicher, die Gehwege um den Reichstag sind weiträumig mit Gittern abgesperrt, das ist lästig. An einem Durchlass für Bundestagsmitarbeiter sitzen die Polizisten windgeschützt in einem Kleinbus und beantworten den ganzen Tag geduldig die Fragen der Touristen. Hinter dem rot-weißen Absperrgitter steht ein lustiger Schneemann mit olivgrüner Strickmütze in der Kälte und bewacht das Parlament: Terroristen, zieht Euch warm an!

Montag, 13. Dezember 2010

Im Theater (14): Nuttenrepublik

Nun also die Sexarbeiterinnen. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, wann Volker Lösch und sein Team auf ihren Streifzügen durch die sozialen Milieus auf dem Strich, in den Bordellen und Massagesalons fündig werden würden. Das ging etwas schneller als geplant, weil es nicht möglich war, genügend Freiwillige aus der Finanzwirtschaft für eine vorweihnachtliche Aufführung von Georg Kaisers „Von morgens bis mitternachts“ zu rekrutieren. Statt dessen nun ein Verschnitt von Wedekinds „Lulu“-Tragödie mit „Texten von Berliner Sexarbeiterinnen“, die aus Interviews komponiert wurden. „Muschis aller Länder, vereinigt Euch!“ skandiert der furiose Prostituiertenchor ganz zum Schluss ins amüsierte Publikum: „Steht auf für ein befriedigtes Deutschland, für ein befriedigtes Europa, für eine befriedigte Welt!“ - Die gesamte Theaterkritik lesen Sie hier.

Freitag, 10. Dezember 2010

Ein Preis für Franz Hessel

Wer hätte gedacht, dass dem zartsinnigen, von wenigen gelesenen Schriftsteller Franz Hessel noch einmal eine staatstragende Rolle zufallen würde, fast 70 Jahre nach seinem Tod als armer jüdischer Emigrant im südfranzösischen Sanary-sur-Mer? Heute wollen der deutsche und französische Kulturminister in Freiburg erstmals den Franz-Hessel-Preis verleihen, den sich auch künftig jährlich zwei Autoren aus beiden Ländern teilen sollen. Dafür hätte man wahrlich keinen besseren Namensgeber finden können als den Übersetzer von Stendhal, Balzac und Proust, als den in Stettin geborenen Vater des französischen Widerstandskämpfers und Diplomaten Stéphane Hessel. Seit Truffauts Film Jules und Jim ist die Dreiecksbeziehung zwischen Franz Hessel, seiner Frau Helen und dem französischen Schriftsteller Henri-Pierre Roché weltbekannt. Den Deutschen wollte Hessel französisches Laissez-faire nahe bringen, nach dem Motto: „Genieße froh, was du nicht hast“. Als elementare Entspannungsübung empfahl er das Flanieren nach Pariser Vorbild. Heute ist die deutsch-französische Annäherung so weit entwickelt, dass Hessels Stoßseufzer auf Paris so gut passt wie auf Berlin: „Hierzulande muss man müssen, sonst darf man nicht. Hier geht man nicht wo, sondern wohin. Es ist nicht leicht für unsereinen.“ - Einen längeren Aufsatz von Michael Bienert über Franz Hessel aus dem abgebildeten Buch finden Sie hier.

Wahrnehmungsschnipsel und Bilderrauschen

Hier blinzelt ein Krokodilsauge aus dunklem Hintergrund, da ploppt eine unscharfe Haarlocke vor Farbnebeln gleich zweimal auf. Vergeblich versucht man, die verschwommen vergrößerten Motive zu entziffern, die sich im Abstrakten verlieren. Für solche heterogen vervielfältigten Wahrnehmungsschnipsel ist der 1967 geborene Eberhard Havekost bekannt, der wie Neo Rauch und Thomas Scheibitz zu den Malerstars der Nachwendezeit gehört. Neuerdings aber mischen sich ungewohnt expressive Töne in das Havekostsche Bilderrauschen. Pastose Farbstriche sitzen roh auf der weißen Leinwand, als wolle der Maler noch einmal ganz von vorn beginnen und vorführen, was das ist: Malerei. - Mehr von Elke Linda Buchholz über die Ausstellung in der Galerie von Heiner Bastian im Tagesspiegel.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Das teuerste Buch der Welt

Gestern wurde vom Auktionshaus Sotheby in London ein Exemplar des wohl teuersten Buches der Welt für umgerechnet 8,6 Mio. € versteigert: The Birds of America; from Original Drawings von John James Audubon (1785–1851). Von 1827 bis 1838 porträtierte und dokumentierte Audubon in bestechender Detailgenauigkeit die amerikanische Vogelwelt. In einem aufwändigen und teuren Verfahren wurden seine Zeichnungen in Schottland im doppelten Folioformat auf 435 Tafeln gedruckt und zu 87 Lieferungen zusammengefasst. Die Lieferungen 1 bis 14 mit 70 Tafeln sind auch im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin. Aus diesem besonderen Schatz der Bibliothek stellte der DuMont Verlag einen Wandkalender für 2011 zusammen, der im Buchhandel und am Verkaufsstand der Staatsbibliothek, Haus Potsdamer Straße 33, erhältlich ist (22,95 Euro). Audubon zeichnete in einer für seine Zeit ganz neuen und ungewöhnlichen Art: Seine Aquarelle zeigen jede Vogelart detailgetreu in Lebensgröße, er stellte ihre typischen Gefieder- und Körpermerkmale in Bewegung und in Gruppen oder Familien dar und zeigte dabei die charakteristischen Landschaften und Pflanzen, auf den sich die Tiere oft aufhalten. Auffallend ist die Zartheit der Kolorierungen, die sowohl die originalen Aquarelle als auch die gedruckten Bilder auszeichnet.

Hofnarren des Sozialismus auf Burg Beeskow

Ein Narr im Schellenkostüm erzählt Kindern eine Geschichte: Dieses scheinbar harmlose Gemälde (Ausschnitt auf dem Katalogumschlag rechts) von Andreas Schmidt lässt sich als Gleichnis auf die Rolle der Kunst in der DDR lesen – zugleich als Allegorie der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse im Land. Zu sehen ist das Werk in der Ausstellung BilderBühnen auf Burg Beeskow, unter den 25 Großformaten findet sich auch ein interessantes Frühwerk des Malerstars Neo Rauch. Die Besprechung der Ausstellung von Elke Linda Buchholz lesen Sie im Tagesspiegel.

Dienstag, 7. Dezember 2010

Kanzlerkarte

Eine Weile hieß das Ecklokal im Berliner Regierungsviertel Café Mierscheid, benannt nach Jakob Maria Mierscheid, der seit 30 Jahren als Phantom durch den Bundestag geistert. Der erfundene SPD-Abgeordnete, Jahrgang 1933, hat sich in dieser Legislaturperiode noch nicht wieder mit skurrilen Initiativen zu Wort gemeldet, es erschienen lediglich ein paar Geburtstagsartikel am 1. März. Dem Ecklokal hat der berühmte Name kein Glück gebracht, es nennt sich längst Kanzler-Eck. Auf der Speisekarte stehen Gerichte wie Konrad Adenauer, das ist Sauerbraten mit zweierlei Kohlrabi, oder die Ochsenbrust Ludwig Ehrhard. Zu Ehren von Willy Brandt und Helmut Schmidt kommt Fisch auf den Teller, unter dem Namen Helmut Kohl, was sonst, Pfälzer Saumagen. Das teuerste der Gerichte auf der Kanzlerkarte, ein Kalbsschnitzel, heißt nach dem Brioni-Liebhaber Gerhard Schröder. Und Angela Merkel? Sie ist Namensgeberin für eine Rinderroulade mit Petersilienkartoffeln. Nicht sehr charmant, Herr Wirt! Oder steckt da der SPD-Altvordere Mierscheid dahinter? (29. November 2010) - Weitere Kolumnen aus der Kulturrepublik-Kolumne finden Sie hier.